Das Demenzheim Ludwigsfelde
„Oma zieht in ein Heim.“ Dieses Satz haben viele schon einmal gehört. Und wenn man sie besuchen ging, war es auch irgendwie ein bisschen wie bei Oma. Natürlich fehlte der große Vorratsschrank mit Süßigkeiten, auf den man sich als Enkel mindestens genauso freute wie auf die Großmutter. Und es waren mehr Menschen als bei Oma zu Hause. Pflegekräfte und natürlich die Omas und Opas anderer Kinder. Aber es gab Kaffee und Kuchen, und Oma erzählte, was es gestern Mittag zum Essen gab. So groß waren die Veränderungen, die mit dem Umzug ins Heim einhergingen, also nicht.
Als Erwachsener sieht man das natürlich ein wenig anders.
Und als Oma sowieso.
Viele Berufe – ein Ziel
Doch manchmal ist der Umzug ins Heim die beste Option. Denn Oma soll es gut gehen und nicht immer können Kinder oder Enkel rund um die Uhr da sein, um ihr zu helfen, weil sie immer mehr vergisst oder es alleine nicht mehr aus dem Bett schafft. Insbesondere bei einer Demenzerkrankung brauchen ältere Menschen sehr viel Unterstützung und vor allem eine für sie sichere Umgebung. Beides finden sie in unserem Demenzheim in Ludwigsfelde. Doch wie funktioniert so eine Pflegeeinrichtung, die sich auf an Demenz erkrankte Menschen spezialisiert hat? Und wieso sind solche Einrichtungen für die älteren Menschen so wichtig? Wir wollten uns das genauer anschauen und haben eine Dienstschicht von vielen Menschen, die hier arbeiten, begleitet. Denn damit der Alltag für die Seniorinnen und Senioren gut und glücklich verläuft, arbeiten viele Hände. Über 16 unterschiedliche Berufe treffen sich hier. Der Pflegehelfer, die Pflegefachkraft, die Pflegedienstleitung, die Einrichtungsleitung, die Betreuungskraft, die Hauswirtschafterin, die Reinigungskraft, die Auszubildenden, der medizinische Dienst der Krankenkassen, der Ergotherapeut, die Physiotherapeutin, der Hausmeister, die Hausärztin, die Friseurin, die Fußpflege und die Verwaltungskraft. Sie alle kommen hier zusammen.
Die Schicht beginnt
6:30 Uhr, noch etwas verschlafen, trifft sich das Pflegepersonal zur Dienstübergabe. Bei einem Kaffee wird die vorangegangene Nacht besprochen und der jetzige Tag. Was war passiert, wem ging es vielleicht besser, bei wem gab es weniger positive Veränderungen und was muss neu im Tagesablauf berücksichtigt werden. Nur wenig später schwärmen die Mitarbeiterinnen aus. Sie alle kennen ihre Aufgaben. Die Pflegehelferinnen verteilen sich auf die drei Etagen des Heimes und helfen den Bewohnerinnen beim Aufstehen. Wer noch schläft, darf schlafen bleiben. Alle anderen Senioren werden gewaschen, angezogen und zum Frühstück begleitet. Unsere Hauswirtschafterin Viola Deutschmann hat bereits auf allen Etagen Kaffee und Tee gekocht, Saft vorbereitet, Brötchen gebacken und Aufschnitt sowie Marmelade vorbereitet.
Hand in Hand führen die Pfleger Antonia Lange und Denny Lange ihre Schützlinge in den großen Wohnbereich mit offener Küche. Und stellen das Frühstück zusammen. Denn sie wissen am besten, wer was bei welcher Stimmung gerne frühstückt. „In anderen Einrichtungen gab es vorgeschmierte Stullen, angeliefert und für jeden gleich. Hier kann ich individuell auf die Wünsche der Bewohner eingehen“, freut sich Denny, als er gerade ein Marmeladenbrötchen in mundgerechte Häppchen zerteilt. Denn unter Zeitdruck steht er nicht. Zwar lernt er gerade seine neue Kollegin Amal ein, doch er weiß, dass manche Senioren vor 10 Uhr nicht aus dem Bett zu bekommen sind. Und so zieht sich das Frühstück in der Küche über 3 Stunden, bis jeder sein Brötchen und sein Kaffee eingenommen hat.
Medizinisch gut versorgt
Während die Pflegehelfer nach und nach alle Bewohner waschen, anziehen, ihre Betten machen, schieben Einrichtungsleitung Daniela Seidlitz, Pflegedienstleitung Evelyn Bartz und Pflegefachkraft Thie Diep Duong ihre Medikamentenwagen über die Etagen und versorgen jeden einzelnen entweder in seinem Zimmer oder schon in der Wohnküche mit seiner Medizin. Auch sie kennen ihre Schützlinge sehr gut und wissen genau, wer seine Tablette mit einem Schluck Wasser mag oder lieber zu Pulver gemörsert in Apfelmus verrührt. Aber das ist nur ein Teil der Routine. Wunden werden versorgt, Blutdruck und Blutzucker gemessen oder Insulin gespritzt.
Immer etwas zu tun
Spätestens 8 Uhr Frühs läuft das Demenzheim auf Hochtouren. Hausmeister Christian Seidlitz dreht seine Kontrollrunde und wird direkt gebraucht. Beim Geschirrspüler in der ersten Etage ist etwas verklemmt und blockiert den Betrieb. Das schafft er noch, bevor er Rezepte und Medikamente abholen muss. Vielleicht kann er noch rechtzeitig mit dem Streichen eines Zimmers beginnen, bevor er das Mittagessen abholen muss… Christian kümmert sich um alles, was im Haus und dem riesigen Garten anfällt. Prüfungen, Reparaturen, Gartenarbeit, beispielsweise das Streichen der Zimmer, wenn neue Senioren einziehen, Essen und Post fahren, Medikamente und Rezepte abholen. Doch wenn es mal woanders klemmt, hilft er auch da aus und übernimmt mal den Küchendienst oder unterstützt das Team der Betreuung.
Backen mit Musik
Zu dem Betreuungsteam gehören unter anderem Anne Fechner und Petra Peschel, die beim Frühstück helfen, erste Senioren mobilisieren und das Backen vorbereiten. Heute soll es Apfelstreuselkuchen geben. Beim Backen helfen alle mit. Äpfel müssen geschält und in Spalten geschnitten werden, Teig und Streusel werden zubereitet. Und während die ersten Senioren mit dem Schälen der Äpfel beginnen, hat sich eine ältere Dame am Tisch ihr Akkordeon gewünscht und begleitet nun die illustre Truppe mit alten Schlagern. Erstaunlich: alle Noten und Texte sitzen perfekt. „Musik bleibt ganz lange. Die meisten können noch bis zum Schluss ihre Mundharmonika oder eben das Akkordeon spielen, selbst wenn sie längst alles andere um sich herum vergessen haben“, weiß Anne Fechner. Und weil heute das Spielen besonders viel Spaß macht, geht sie mit der Dame durch die Etagen für kleine Spontankonzerte, damit auch alle anderen Bewohner ohne eine Musikantin unter ihnen in den akustischen Genuss kommen.
Stau im Sekretariat
Währenddessen drängeln sich im Verwaltungsbüro von Bianca Tanneberger die Menschen. Die Ergotherapeutin und der Physiotherapeut sprechen mit ihr ab, wer nun welche Behandlung bekommen soll. Dahinter wartet der Hausarzt, der seine Visite machen möchte. Er wird von Daniela Seidlitz empfangen und begleitet. Doch irgendwie wird es nicht leerer in Biancas Büro. Zu 9 Uhr hatte sich der medizinische Dienst angekündigt. Jetzt ist es 10 Uhr und nun müsste eigentlich hinterher telefoniert werden, wo er denn nun bleibt. Doch eine Seniorin, selbst ehemalige Bürokauffrau, ist mit Bianca Tannebergers Ablage nicht einverstanden. Immer wieder kommt sie in das Verwaltungsbüro und treibt die Kollegin im Dienst an, sortiert um oder schimpft, weil eine Notiz lose rumliegt. „Ja, hier herrscht ein strenges Regiment“, lacht Bianca. „Frau P[…] kommt regelmäßig zu mir und überprüft, ob ich das auch alles richtig mache. Nicht wahr, Frau P[…]?“ „Naja, früher hast du auch schon mal schneller gearbeitet,“ beschwert sich Frau P. und zieht wieder von dannen. In der Tat, bestätigt Bianca Tanneberger und huscht aus dem Büro, um die saubere Wäsche, die gerade angekommen ist, auf die Zimmer zu verteilen. Hier trifft sie auf unsere Reinigungskraft, die jeden Tag Gemeinschaftsräume, Bewohnerzimmer, Bäder und Toiletten reinigt. Denn neben der Wäsche, dem Essen, der Pflege gehört auch die Reinigung zu den Tätigkeiten, die den Bewohnern und Angehörigen abgenommen werden.
Alle für einen
Doch plötzlich kippt das lustige und wuselige Treiben in eine große Unruhe. Ein Bewohner fängt zu zittern an, hyperventiliert, bis er sich kurz darauf heftig übergibt. In Sekundenschnelle sind drei Kollegen bei ihm. Während Pflegefachkraft Diep Duong ihn mit den richtigen Medikamenten versorgt, stützen ihn zwei
Pflegehelfer und geleiten ihn in sein Zimmer. Anne Fechner bleibt bei ihm, versucht ihn zu beruhigen bis er endlich eingeschlafen ist. In der sogenannten Blitzrunde, einer kurzen Teambesprechung, wird der Vorfall ausgewertet. Lag es am Essen, eine Nebenwirkung bei Medikamenten, eine neue Erkrankung oder ist es die Demenz. Denn auch Panikattacken, wenn plötzlich völlig die Orientierung wegfällt, können solch heftige körperliche Reaktionen auslösen. Also ist es ganz wichtig zu erfahren, was war unmittelbar vorher, was wurde gegessen und in welcher Situation befand sich der Bewohner, als es zum Anfall kam. Wie gut, dass ihm schnell geholfen werden konnte. Bereits kurze Zeit darauf ist der Kreislauf wieder stabil, das Erbrechen hörte auf und der Facharzt sowie die Angehörigen wurden informiert.
Reger Betrieb hoch 3
Nach dem Mittagessen kehrt kurz etwas Ruhe ein. Während Viola die Vorräte für den kommenden Tag in die Speisekammer sortiert und die drei Küchen wieder auf Vordermann bringt, hilft das Pflegepersonal den Senioren ins Bett. Petra Peschel und Anne Fechner teilen sich auf. Petra macht mit einer Bewohnerin einen Spaziergang an der frischen Luft im Garten. Anne dagegen sitzt in einem Zimmer eines anderen Seniors, der sein Bett mittlerweile gar nicht mehr verlassen kann und liest ihm vor. Diep Duong bereitet die Schichtübergabe für die nächste Pflegefachkraft vor, während Bianca Tanneberger versucht, die vielen Bilder und Hausschuhe, die ein Bewohner aus den anderen Zimmern herausgeholt und verteilt hat, wieder den richtigen Senioren zuzuordnen. Ganz oben in der dritten Etage streicht Christian das Zimmer zu Ende. Dazwischen, in der zweiten Etage, sitzt Evelyn Bartz in ihrem Büro und schreibt den Ärzten, wie es den Patienten geht, welche Medikamente benötigt werden und welche Facharztüberweisung es braucht.
Wie eine Familie
Derweil brütet Daniela Seidlitz vor personellen Problemen. Drei Mitarbeiterinnen mussten sich krank melden und können nun ihre Schicht am Wochenende
nicht antreten. Das Telefon glüht, aber nach einer Stunde hat Daniela alle Dienste besetzen können. Denn hier ist man ein Team und jeder ist da, wenn Hilfe gebraucht wird. „Am Ende ist es ja auch ein bisschen unser Zuhause und wir zusammen sind die Familie, nicht nur für die Bewohner, sondern auch dank ihnen“, fasst Daniela den Tag zusammen als sie nochmal vom Parkplatz auf die Einrichtung schaut, in der nun die Spätschicht ihren Dienst angetreten ist.
Das Demenzheim Ludwigsfelde
Das Demenzheim Ludwigsfelde gehört zu den insgesamt zwei Spezialheimen des ASB Mittel-Brandenburg, die sich von Grund auf auf die Pflege und Betreuung von Seniorinnen mit Demenz spezialisiert haben. Bereits beim Bau des Gebäudes 2007 wurden die Bedürfnisse dieser Menschen berücksichtigt. So sind die Wohngruppen und der Garten so angelegt, dass an Demenz erkrankte Senioren sich gut orientieren können, viel Gemeinschaft erleben, aber auch Ruhe genießen können, wenn sie es mögen. Kreisende Wege verhindert, dass die Bewohner „stecken“ bleiben und ihren erhöhten Bewegungsdrang gut ausleben können. Der ganze Tag richtet sich nach ihnen aus. Es gibt weder feste Aufstehzeiten noch wird das Tagesprogramm nach der Uhrzeit strukturiert. Demenzpatienten haben ihren eigenen Tag-Nacht-Rythmus, ihren eigenen Plan vom Tag. Und den dürfen sie hier in sicherer Umgebung ausleben. Insgesamt wohnen, verteilt auf drei Etagen, bis zu 51 Senioren. Natürlich ist die Einrichtung speziell gesichert, sodass trotz aller Freiheiten hier niemand wegkommt oder nachts in den Wäldern wandern geht. Für die Aufnahme in unsere Spezialeinrichtungen ist die neurologische Diagnose Demenz zwingend erforderlich.